Fahrassistenz-Systeme (FAS) sind heute bei Neuwagen von der Luxuskarosse bis zum Kleinwagen ein Muss. Je nach Ausstattung kommen diverse Sensoren, Radarsysteme und Kameras zum Einsatz. Gerade bei Reparaturen an Bauteilen wie Stoßfängern oder Windschutzscheibe müssen deshalb die FAS-Sensoren im Anschluss kalibriert werden, um Ausrichtungs- und Positionsfehler zu korrigieren. Welche Schritte dabei ratsam sind, erklärte uns Helge Kiebach, Geschäftsführer des Kraftfahrzeugtechnischen Instituts (KTI) in Kassel.
Beim letzten Branchentreff des Zentralverbands Karosserie- und Fahrzeugtechnik (ZKF) kursierte eine interessante Zahl. So seien rund 20 Prozent der Neuwagen bereits ab Werk nicht korrekt kalibriert. Helge Kiebach wollte diese Zahl zwar nicht bestätigen, hielt aber fest: "Es deutet vieles darauf hin, dass viele Fahrzeuge betroffen sind, bei denen die Assistenzsysteme nicht so funktionieren, wie es der Fahrer erwartet. Das kann auch neue Fahrzeuge betreffen, die das Werk verlassen. Wie viele das sind, wissen wir aber nicht."
- Ausgabe 7_8/2025 Seite 032 (529.8 KB, PDF)

Sicher ist, dass die meisten Fahrzeuge heute dem Level 2 (teilautomatisiert) entsprechen. Mit dem Schritt auf Level 3 (hoch automatisiert) wird die Bedeutung einer fachgerechten Kalibrierung noch mal an Bedeutung gewinnen. Worauf Werkstätten dabei besonders achten müssen, erklärt Helge Kiebach: "Zentraler Punkt ist die Beachtung der Herstellervorgaben. Dabei sind jeweils die fahrzeugindividuellen, tagesaktuellen und originären Herstellervorgaben heranzuziehen."
Er betont, dass man sich dabei nicht auf Internetdaten aus unklaren Quellen berufen sollte, sondern stets die aktuellen Daten aus den Herstellerportalen abruft. Wichtig ist auch, die verwendeten Herstellervorgaben zu dokumentieren und zu archivieren, da diese sich auch zu einem späteren Zeitpunkt ändern können. "Wir empfehlen außerdem, jede Kalibrierung mit Fotos zu dokumentieren: Wie war der Aufbau, in welcher Umgebung und mit welchem Gerät wurde kalibriert, was zeigt der Bildschirm des Kalibriertools?", ergänzt Kiebach.
Qualifiziertes Personal
Ein weiterer wichtiger Punkt ist qualifiziertes Personal. "Gerade, wenn ich markenübergreifend arbeite, ist es herausfordernd, auf die unterschiedlichen Portale zuzugreifen, die teilweise sehr unterschiedlich sind in Benennung und Struktur", so Kiebach. Die Daten stehen allen Betrieben zur Verfügung, die Frage ist nur, welchen Aufwand man betreiben möchte.
"Unsere Empfehlung ist, dass die Betriebe sich sehr genau überlegen, welche Marken sie reparieren, ob sie eine gewisse Fokussierung vornehmen, eine gewisse Ausrichtung haben und dann entscheiden, wie sie sich aufstellen", sagt Kiebach und ergänzt: "Bevor ich diesen ganzen Invest betreibe, die Mitarbeiter ausbilde, mir ein Kalibriertool beschaffe und die ganzen Herstellerzugänge freischalte, muss ich natürlich auch sicherstellen, dass ich da einen gewissen Durchlauf habe und auch ein gewisses Geschäftsmodell entwickle."
Auf die Details kommt es an
Bei einer Reparatur sollte die Werkstatt den Verbaustatus der Sensoren kennen. Nicht alle sind von außen sichtbar. Vor allem Stoßfänger, ein besonders schadenträchtiges Teil, haben sich mittlerweile zum Technologieträger entwickelt. Häufig finden sich dahinter Radarsensoren, mit Auswirkungen auf eine mögliche Reparatur. Wie diese auszusehen hat, ergibt sich eben aus den genannten Herstellervorgaben. So ist es in der Regel nicht erlaubt, im Radardurchstrahlbereich zu spachteln oder Kunststoff-Reparaturen durchzuführen. "Es kann maximal eine Reparatur der Beschichtung, also des Lackaufbaus, zulässig sein.
Wenn es in den Radardurchstrahlbereich geht, erlauben manche Hersteller gar keine Lackreparatur, andere nur Klar-, wieder andere Basislack und Klarlack", so Kiebach. Auch für Schleifmittel geben manche Hersteller eine gewisse Körnung vor, um Schleifriefen zu vermeiden. Oftmals sind auch Lacksysteme eines bestimmten Herstellers vorgeschrieben. Diese wurden freigegeben, um eine Beeinflussung der radartechnischen Eigenschaften zu verhindern. Problem: Wenn hier Fehler gemacht werden, zeigt dies kein Diagnosegerät an. Das KTI begleitet derzeit die Entwicklung von Messverfahren, die künftig die Radareignung eines reparierten Stoßfängers feststellen kann.
Auch für den Arbeitsplatz gilt: Herstellervorgaben beachten! Einige OEM schreiben für die Kalibrierung einen Achsmessstand vor, anderen genügt der Scheinwerfereinstellplatz. Für die Aufstellfläche des Kalibriertools gibt es ebenfalls unterschiedliche Anforderungen bezüglich Fläche oder Abstand zum Fahrzeug. Auch das Licht spielt eine Rolle, insbesondere Kamerasysteme reagieren empfindlich auf Gegenlicht.
Entgegen häufiger Annahme ist eine Fahrwerksvermessung vom Hersteller nicht immer zwingend vorgeschrieben. So schreibt Volkswagen eine Achsvermessung nicht zwingend vor, sondern verweist auf die Voraussetzungen, die für eine Fahrwerksvermessung erfüllt sein müssen, wie Überprüfung der Radspielfreiheit an Vorder- und Hinterachse, die richtige Einstellung des Luftdrucks oder einen bestimmten Beladungszustand des Fahrzeuges. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die Fahrwerksvermessung und -einstellung nicht vorgeschrieben.
Personal qualifizieren
Nach Fahrwerk-Reparaturen ist die Achsvermessung jedoch für eine exakte Kalibrierung nötig. Manche Hersteller kalibrieren ihre Systeme auf die Karosserie-Symmetrieachse, die mit der geometrischen Fahrachse übereinstimmen muss und somit eine Fahrwerksvermessung und -einstellung unerlässlich macht. Für eine exakte Einstellung der Fahrwerksgeometrie spielt die Felgenschlag-Kompensation eine wichtige Rolle, um Messfehler bei der Erfassung der Radwinkel zu vermeiden.
Die schreibt Volkswagen beispielsweise im Gegensatz zur Fahrwerksvermessung auch vor. Einige Kalibriertools berücksichtigen dies im Ablauf, andere wiederum nicht. "An der Stelle kommt wieder das qualifizierte Personal ins Spiel, das wissen muss, ob und wie eine Felgenschlag-Kompensation durchzuführen ist. Und letztendlich sind auch hier wieder die individuellen Herstellervorgaben zu berücksichtigen", so Helge Kiebach zum Abschluss.